Unternehmertum mit Liebe
Welches Grundgefühl ist am besten dazu geeignet, ein Unternehmen langfristig erfolgreich zu führen? Es ist noch ungewöhnlich, diese Frage zu stellen. Bei meiner täglichen Arbeit im Unternehmer-Coaching gehört sie mittlerweile zum Standardrepertoire.
So sehr meine Klienten mir bei der These beipflichten, dass man mit Liebe am erfolgreichsten und glücklichsten sein Unternehmen führen kann, so schwierig ist es, dies in der alltäglichen Praxis zu beherzigen.
Was hindert uns daran? Ich bin der Überzeugung, dass das größte Hindernis mangelnde Selbstliebe ist. Drei sehr verbreitete Mythen stehen in Form von Glaubenssätzen einem Unternehmertum mit praktizierter Liebe im Wege. Ich wage die These, dass der Glaube an einen dieser Mythen seine Ursache in schwach ausgeprägter Selbstliebe hat.
Mythos 1 „Konkurrenz belebt das Geschäft“
Der Spruch ist so geläufig, dass er nur selten offen in Frage gestellt wird. Manche Menschen entdecken erst in Wettbewerbssituationen ihre Leistungsbereitschaft und sind zum Handeln motiviert. Andere dagegen werden durch Wettbewerbssituationen demotiviert. Sie wollen nicht besser sein als der andere, sondern gemeinsam an einem Strang ziehen.
Als Binsenweisheit gilt, dass Monopolisten und Unternehmen auf Anbietermärkten sich weniger um die Gunst ihrer Kunden bemühen, als Anbieter in Branchen mit vitalem Wettbewerb. Das Lenken der unternehmerischen Kreativität auf Kundenbedürfnisse widerspricht keineswegs dem Prinzip „Unternehmertum mit Liebe“. Wer seine Kunden liebt, wird sich automatisch für deren Bedürfnisse interessieren, entwickelt natürliche Empathie und braucht keine bürokratisierte Marktforschung. Er wird automatisch Energien freisetzen, um die Bedürfnisse seiner Kunden zu veredeln, anstatt sie wie ein Drogendealer von Waren mit nur kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung abhängig zu machen. Die Veredelung von Kundenbedürfnissen führt zu differenzierten nützlichen Produkten und Dienstleistungen, die konsequenterweise nicht nur nachhaltig im Konsum, sondern auch in Herstellung und Entsorgung sind. Verantwortungsloses und verschwenderisches Haben- und Mehrhabenwollen wird nicht mehr belohnt.
Wer hingegen auf eine oberflächliche Differenzierung aus ist, nur um seine Angebote vom Wettbewerb unterscheidbar zu machen, verstärkt die Entwicklung einer ungesunden, unnatürlichen Angebotsvielfalt, die Konsumenten verwirrt, Egoismen nährt, Neid, Panik und Übersprungshandlungen fördert.
Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist Wettbewerbsorientierung weit ineffizienter als Kooperation und Kollegialität. Wenn alle Unternehmer im Sinne der Verbesserung des großen Ganzen arbeiten, entsteht mit weniger Aufwand mehr, als wenn einige oder gar die Mehrheit gegeneinander wirken. Schumpeters Prinzip der kreativen Zerstörung und die „unsichtbare Hand des Marktes“ werden missverstanden, wenn sie als Gegenbeleg angeführt werden. Damit sind wir schon beim zweiten Mythos.
Mythos 2 „Wer Gutes will, schafft Schlechtes. Wer Schlechtes will, schafft Gutes“
Dieser Mythos hält sich wacker, obwohl er der persönlichen Erfahrung vieler Menschen widerspricht. Gern wird er von konservativen Volkswirtschaftsprofessoren, einem Teil altgedienter Weltpolitiker und von enttäuschten zynischen Menschen strapaziert. Von erfolgreichen Unternehmern und glücklichen Menschen habe ich so etwas hingegen noch nie gehört.
Gar nicht so selten wird noch immer als Beleg für den Mythos angeführt, der Kommunismus habe Gutes gewollt und Schlechtes bewirkt, wohingegen der Kapitalismus auf „dem Bösen im Menschen“ beruhe und zu Wohlstand führe. Nun kann ich der pauschalen Zuweisung von Gut und Böse an Ideologien wie Kommunismus und Neoliberalismus nicht folgen: Dass der Kommunismus die Vision vom freien Menschen in Wohlstand hat, unterscheidet ihn prinzipiell nicht von anderen Ideologien. Dasselbe Ziel verfolgt der Neoliberalismus. Und dass ein Kapitalist per se seinen eigenen Vorteil aus dem Nachteil seiner Angestellten, Kunden und/oder der Dritten Welt schlägt, ist eine sehr einseitige Legende.
Was Schumpeter und Mephistopheles in Goethes Faust meinten, ist keine blinde Zerstörung und erst recht kein Angriff auf das Wohlergehen anderer Menschen, sondern ein Infragestellen von „eisernen Gesetzen“, das Einreißen für gut und richtig geglaubter Denkgebäude und Institutionen und das Aufbrechen verkrusteter Strukturen. So verstanden könnte der dritte Mythos sogar aufrecht erhalten werden.
Mythos 3 „Wer Erfolg haben will, muss gnadenlos sein“
Wer etwas bestimmtes erreichen will, muss gnadenlos sein in der Disziplin, konsequent nur noch Dinge zu tun, die der Zielerreichung dienen und alles andere so weit wie möglich wegzulassen: Wer mit dem Rauchen aufhören will, muss aufhören zu rauchen. Wer einen Marathon laufen will, muss sehr viel und lange Laufen trainieren. Wer abnehmen will, muss sich entsprechend ernähren und bewegen. Und wer ein bestimmtes unternehmerisches Ziel erreichen möchte, muss seiner Strategie treu bleiben. Darin besteht die Gnadenlosigkeit.
Wer es als Erfolg definiert, andere Menschen auszurauben oder schnell sehr viel Geld durch eine Geiselnahme zu erpressen, der muss freilich auch bei diesen Vorhaben gnadenlos sein. Es hängt von den zuvor definierten Zielen ab, was ein Erfolg ist.
Immer mehr Menschen bekennen sich dazu, dass auch wirtschaftlicher Erfolg für sie nicht allein in Umsatz- und Gewinn-Zahlen zu bemessen sei, sondern in einer gesellschaftlichen Wirkung und dass sie ihren Werten und Prinzipien treu bleiben. Einen Erfolg auf Kosten anderer zu erzielen, wird in einer zunehmend transparenten und vernetzten Welt nur von kurzer Dauer sein.
Somit möchte ich mit der Kampfansage schließen, beim Werben um mehr „Unternehmertum mit Liebe“ künftig gnadenloser denn je zu sein.