Un-Mythos Existenzgründung

Ich mochte den Begriff „Existenzgründer“ noch nie. Es klingt, als ob man vorher gar nicht existierte. Er klingt mickrig. Er klingt nach Armut. Es klingt nach dem Gegenteil von Freiheit. Er klingt nach Abhängigkeit, 23-Stunden-Arbeitstag, Aufopferung, nach alles selbst- und ständig machen.

Leider ist das auch die Realität vieler Selbständiger. Denn sie sind keine Unternehmer

Mythos von der befreienden Gründung

„Selbständig machen“. Dabei fängt der Mythos schon an. Als Beispiel dient Titus Dittmann, der der Mission folgte, bezahlbare und brauchbare Skateboards zu liefern und dafür die sichere Beamtenlaufbahn eines Lehrers opferte und sich den Hohn seiner Familie aussetzen musste. Das war vor 30 Jahren. Das ist heute längst nicht mehr der Normalfall.

Die Regel ist, Menschen sind selbständig, weil es in ihrem Beruf gar keine Festanstellungen (mehr) gibt, weil sie Langzeitarbeitslose oder Langzeitschwarzarbeiter sind, weil sie Berufseinsteiger sind oder Dauerpraktikanten. Am Mythos von der Alternative des „sicheren Festjobs“ halten allerdings viele Selbständige aufrecht, „Ich würde jederzeit einen Job kriegen, aber ich will nicht.“ Wer es glaubt wird selig.

Gründungsberatung in Deutschland

Es gibt 2 Sorten von Existenzgründungen: Die einen „machen sich selbständig“ mit einer Geschäftsidee und bekommen einen unternehmerischen Anfall, wie es der US-Autor und Unternehmensberater für StartUp-Franchises Michael Gerber so treffend auf den Punkt brachte. Die anderen wollen (oder sollen) einfach ihren Beruf ausüben: Grafikdesigner, Heilpraktikerin, Hundetrainerin, Kosmetikerin oder Baustellenhelfer. Diese Menschen sind – von Ausnahmen einmal abgesehen – viel viel weniger Unternehmer als angestellte Verkaufsleiter oder Inhaber kleiner Werbeagenturen mit Angestellten. Der Akt der Gründung besteht für sie darin, sich eine Steuernummer beim Finanzamt zu holen. Das war es. Es sei denn, sie bekommen – der Normalfall – Geld vom Jobcenter (vulgo „Hartz IV“). Dann werden sie zu einer Gründungsberatung geschickt. Die Gründungsberatung ist konzeptionell jedoch auf „Menschen mit unternehmerischem Anfall mit geringen bis gar keinen BWL-Kenntnissen“ abgestellt. Der unternehmerische Anfall (Michael Gerber) soll gebändigt werden durch Pflichtübungen wie Businesspläne, die vorgegebenen Strukturen folgen müssen, die angeblich Banken, Arbeitsagentur und Jobcenter so sehen wollen. Durch Buchhaltungs- und Steuerrechts-Kurse, die oft vermitteln „Wenn Du nicht an all das denkst und Deine Pflichten erfüllst, machst Du Dich strafbar!“ werden die Gründungswilligen eine Art Mutprobe unterzogen: „Na, willst Du Dich immer noch selbständig machen?“

Diese Mutprobe kann als paradoxe Intervention aufgefasst werden.

Freelancer sind das Gegenteil von Unternehmern

Entweder sie lassen sich „jetzt erst recht“ nicht von den Warnungen der Mitmenschen vor „den vielen Gefahren“ abschrecken oder sie arrangieren sich damit, als Freelancer sich in der sozialen Hierarchie unterhalb derjenigen einzurichten, die wenigstens bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitslosenversicherung und (minimale) Altersvorsorge haben. Sie haben mit Unternehmern außer der juristischen Selbständigkeit nichts gemeinsam. Die Intension, das Handlungsmotiv eines Unternehmers ist ein völlig anderes als das des Freelancers, der selbständigen Fachkraft. Der Unternehmer will etwas bewirken, die selbständige Fachkraft möchte sich einfach ihren eigenen Arbeitsplatz schaffen.

„Der wirkliche Unternehmer sollte sich ebenso definieren, wie ein Katalysator definiert ist, nämlich als Stoff, von dem man wenig braucht, der aber eine große Wirkung erzielt und sich dabei selbst nicht verbraucht.“

Dieses Zitat stammt von Klaus Kobjoll, dem Gründer und Inhaber des Hotel Schindlerhof, einer der wenigen Vorzeige-Unternehmer aus Deutschland, neben Wolfgang Grupp, Götz Werner und dem vorhin bereits erwähnten Titus Dittmann.

Was bedeutet:

Unternehmer sind keine Existenzgründer

Existenzgründer sind keine StartUps

StartUps werden nicht von Freelancern gegründet

Freelancer wollen existieren

StartUps definieren sich durch potenzielles Wachstum

Unternehmer gründen, um etwas zu bewirken: Arbeit dient Veränderung – niemals umgekehrt!

2 Kommentare zu „Un-Mythos Existenzgründung“

  • Klaas: Ich stimme Dir generell zu. Das Statement „Freelancer sind das Gegenteil von Unternehmern“ ist mir aber zu pauschal; gibt es doch den Hybriden Ich-bin-Unternehmer-und-freelance-wg-Bootstrappings-meines-Startups…

    • Klaas Kramer:

      @Stefan
      Hybride gibt es und wird es immer häufiger geben. Wenn ich von „Unternehmer“ und „Freelancer“ spreche, meine ich auch mehr die Rollen, in die ein einzelner Mensch schlüpfen kann. (Fast) jeder Unternehmer arbeitet auch zeitweise als „Fachkraft“ IN seinem Unternehmen. Die wenigsten Freelancer arbeiten jedoch AN ihrem Unternehmen, sie betrachten sich noch nicht einmal als Unternehmen.
      Ich halte es für wichtig, sich der unterschiedlichen Rollen erst einmal bewusst zu werden.

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