Social Media Experte Arnold Melm aka countUP
1. Wie stehen Sie zum Thema „Mitmach-Markenführung“?
Klassisch betrachtet bietet eine Marke Orientierung. Das erreicht sie, indem sie sich von anderen unterscheidet. Unverwechselbar ist. Dem Vergleich entzieht – und so mehr wert ist: Sie schwebt über den Niederungen der Preise. Sie hat eine einzigartige „Persönlichkeit“. Diese ist quasi unantastbar. Jede Veränderung, die nicht von den Hohepriestern der Unternehmensleitung abgesegnet wird, ist geradezu ein Sakrileg. Klar, es gibt Kundenwünsche, auf die man reagieren kann. Aber man muss es nicht. Das ist so als wünsche sich ein treues Gemeindemitglied ein anderes Lied im Gottesdienst. Dort, wo Customer Relation Management unfreiwillig in Beschwerdemanagement übergeht, ist die Kommunikation mit den Stakeholdern geradezu eine Gefahr. Droht doch der Glanz der Marke zu ermatten. Und die Daten der Sentiment Analysen klingen für den Marketer wie eine Schauergeschichte zu Halloween. Gut, wenn man proaktiv ein Schälchen mit Süßigkeiten neben der Haustür stehen hat – zumindest eins für die Shareholder. Aber Gottesdienst ist das nicht mehr. Zumindest nicht so, wie man sich ihn vorstellte.
Die klassische Markenführung kennt vornehmlich das Feedback, nicht den Dialog. Und Interaktion ist, wenn der Kunde bei einem Spiel mitmacht und seine Kontaktdaten hinterlässt. Doch Mitmach-Markenführung beginnt dort, wo nicht einzig(!) owned content angeboten wird, sondern sich die Perspektive umorientiert hin zum social sowie earned content als gewollte Herausforderung. Der Andere ist nicht mehr schlimmsten Falls ein Übel, sondern gewünschter Mitgestalter. Hier sind unterschiedliche Szenarien denkbar. Stufen der Kooperation. Alles keine Pflicht, sondern dem Ziel verpflichtet, wohin das Unternehmen gehen will. Nicht jede Marke muss alle ihre Türen sperrangelweit öffnen und jedem gleich das Allerheiligste überlassen. Das hängt davon ab, welche Strategie das Unternehmen fährt, um an sein Ziel zu gelangen. Die einen sind beispielsweise Anbieter von Saft und lassen ihre Kunden eigene Säfte zusammenstellen, die somit zu einem stets flexiblen Sortiment führen. Andere lassen das Produkt sowie die gesamte Kommunikation von der Community gestalten. Ich denke hier an Open Source, vor allem an Linux, über das man sich streiten kann, ob es denn eine Marke im klassischen Sinn ist. Aber es ist ungemein erfolgreich. Heute als Bewerber auf dem Markt der Betriebssysteme nicht mehr wegzudenken – und das auf allen möglichen Plattformen mit Prozessor, sei es nun ein Super-Rechner in der Serverfarm oder ein Handy. Android ist bekannterweise ebenfalls linuxbasiert.
Ich halte Mitmach-Markenführung für ein spannendes Thema. Es wird uns die kommenden Jahre noch intensiver beschäftigen. Vor allem, je stärker Marken im Social Web präsent sein wollen. Dann erleichtert die kooperative Haltung den Erfolg. Wobei ich hier als PR-Berater spreche, der ich von Haus aus bin: Echte Fans, Fürsprecher, stärken nicht nur die Reputation, sondern letzten Endes die Marke.
2. Nennen Sie bitte je ein Beispiel für souveräne Markenführung und unsouveräne Markenführung.
Ich konzentriere mich in meinen Beispielen an zwei Kampagnen der letzten Zeit. Gelungen halte ich die Video-Kampagne von Tipp Ex „A hunter shoots a bear!“. Der Erfolg besteht nicht nur darin, dass ich sehr viel Spaß mit den einzelnen Clips hatte wie viele andere ebenso und dass es sich viral verbreitete, sondern dass ich diese Kampagne ganz eng mit der Marke verbinde. Das ist nicht immer so. Oft sieht man ein lustiges Video, doch vergisst ganz schnell, von wem es kam. Hier ist das anders. Und zwar liegt das an der genialen Verbindung zwischen Eingabe und eigentlichem Produkt. Tipp Ex gehört in die Welt der Schreibmaschine und mehr oder weniger komfortabler Korrekturen mit dem Produkt. Der Clip übersetzt diesen Vorgang in die heutige Zeit des Internets. Statt nun Text zu überschreiben gibt man neue Suchbegriffe ein und ein neues Video erscheint. Der Spaß beginnt dann, wenn man gerade die Worte eingibt, von denen man meint, dass Tipp Ex kein Video dafür vorbereitete. Hatten sie aber. So erscheint die Marke in einem ganz anderen Licht: Ich vermutete hinter Tipp Ex ein biederes Unternehmen. Doch auf einmal sind sie ganz auf der Höhe der Zeit. Wenn das allen so geht, die sich ebenso wie ich amüsierten, dann besteht der Erfolg der Marke darin, dass sie auf einmal wieder da ist. Mehr noch: hipp ist. Alles andere als bieder. Und das mit „nur“ einer Video-Kampagne, die allerdings nicht ganz billig gewesen sein wird.
Der Betrachter wird zum Mitmacher, indem er mit dem Video spielt, Spaß hat, es verbreitet und weiter empfiehlt. Vermutlich wird er neugierig auf die Marke und macht andere ebenso neugierig. Das Image der Marke ist auf einen Schlag komplett anders. Und das ist gut so.
Nicht gelungen halte ich weiterhin die Kampagne „Chefticket“ der Deutschen Bahn. Und das auch immer noch, obwohl mittlerweile die Verkaufzahlen für die Kampagne sprechen sollten. Nein, das ist kein Beispiel einer souveränen Markenführung. Den Verkaufserfolg sehe ich dem Status als Quasi-Monopolist geschuldet. Der Kunde hat so gut wie keine Wahl. Da nimmt er jedes Entgegenkommen im Preis gerne entgegen.
Was hat die Bahn gemacht? Die Bahn war bis dato nicht auf Facebook anwesend. Nun entschloss sie sich doch und wählte die denkbar schlechteste Zeit. Der Streit um den Stuttgarter Bahnhof war auf seinem ersten richtig großen Höhepunkt entbrannt, die Bahn selbst einer der umstrittenen Teilnehmer in diesem Zwist, da startete sie ihre Kampagne. Dass sie ein Ticket nur für Chefs auf den Markt bringt, lasse ich mal außer Acht. Ebenso den Fehler, dass sie das Video nicht selbst auf YouTube oder Vimeo stellte. Aber dass sie sich nicht wappnete, dass zu diesem Zeitpunkt eine Riesenwelle an Entrüstung auf sie zurollt, das kreide ich ihr an. Dieser Sturm der Kritik war zu erwarten. Ist er nicht immer. Aber in diesem Fall schon. Und dann einen Account auf Facebook nur für den Verkauf zu errichten ohne auf die kritischen Bemerkungen einzugehen, war ein großer Fehler. Es scheint, als habe sich seit Mehdorn doch noch nicht viel verändert im Unternehmen Deutsche Bahn. Damals wusste oft die Kommunikation nicht, was die Abteilung Sales macht. Und die denkt eben nur an Verkauf. Darf sie auch. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie aber gemeinsam arbeiten müssen. Es wäre sogar eine Chance gewesen, wenn sie sich zusammen eine Strategie überlegt hätten, wie sie mit ihren unzufriedenen Kunden gerade jetzt kommunizieren. Doch das hat die Bahn verspielt. Mag das Netz noch neu sein – worauf sich einige gerne berufen – so war aber diese Reaktion zu erwarten. Statt Gespräche zu führen, antwortete die Bahn nur auf Anfragen, die sich direkt auf das Ticket bezogen. Die Ernte dieses Verhaltens ist ein verstärkter Imageverlust. Nicht das, was man will.
3. Können sich Marketingmanager nur behaupten, wenn sie sich mit glasklaren Beweisen für den Erfolgsbeitrag des Marketings munitionieren oder sehen Sie noch einen anderen Weg?
Kommunikation dient immer der Wertschöpfung des ganzen Unternehmens oder der Marke, nicht nur eines einzelnen Produkts. Doch die Frage nach messbaren Werten ist letzten Endes eine Frage, was Erfolg in der Kommunikation bedeutet und worauf dieser zurückzuführen ist. Allgemein gesagt ist Erfolg das Erreichen des gesetzten Ziels. Doch welche Maßnahmen führten genau dahin? Welche Zahlen sagen exakt was aus? Wir landen immer wieder bei Henry Ford. Dieser formulierte sehr schön, dass die eigentlichen Faktoren nicht auszumachen sind, warum eine Kampagne funktioniere und was man das nächste Mal lassen könne. Was nicht bedeutet, dass es keine messbaren Daten gibt. Im Gegenteil. Wir können sehr viel messen. Besonders in Social Media. Angefangen bei all dem, was wir zählen können: Follower, Fans, Likes, Tweets, Retweets, Klicks, Links, Erwähnungen der Marke, des Unternehmens, einzelner Produkte und sicherlich noch einiges mehr. Bishin zu qualitativen Messungen wie beispielsweise der Klangfarbe, dem Sentiment. Komplexer sind Messungen wie der Klout-Score. Aber problematisch wird es, wenn ich die einzelnen Messungen abwägen will. Was zählt mehr: dieser eine positiv gestimmte Kommentar oder die recht verbitterte Kritik eines Kunden, der meine Sentiment-Analyse runterzieht, den ich nach einem längeren Austausch aber überzeuge und vielleicht sogar zum Advokat meiner Marke mache? Einzig die Messung der Klangfarbe gibt das nicht her. Hängt die Reputation nur von der Anzahl positiver Nennungen ab? Oder können ebenso weniger mehr sein? Auch wenn ich alles in KPIs herunterbrechen kann, meine Kommunikation so sehr gut planen und kontrollieren kann, so bleibt doch immer ein Rest Magie, der nicht in Zahlen zu fassen ist, aber am Ende den Erfolg ausmacht.
Wir müssen weg von der Angst vor einem Kontrollverlust hin zu einem Blick für Räume, die uns von den Stakeholdern geöffnet werden. Oder anders: Wir müssen in unserem Gottesdienst die Gemeinde mit einbeziehen und Gemeinschaft erlebbar machen. Doch wie drückt man das in Zahlen aus?
4. Wird es in 30 Jahren noch Marken geben oder sind Marken ein Relikt eines ausklingenden Zeitalters von Massenproduktion und Massenmedien?
Meine Glaskugel sagt mir, sie sei auf weniger Jahre Zukunftsschau geeicht. Aber ich trage das dennoch mal vor, was sie mir prophezeit. Marken werden noch wichtiger werden. Durch das Social Web werden sie transparenter. Greifbarer. Wir werden stärker die Marken mit bestimmten Menschen verbinden, die wir durch direkte Kommunikation kennen. So erscheinen uns die Marken näher, tragen wir sie sogar mit uns herum: Denn das mobile Web ist dann noch wichtiger als heute schon. Das alles ist dann ganz selbstverständlich.
Vermutlich werden mehr Marken direkt aus dem Social Web entstehen, die unser Leben begleiten. Also Marken, die nicht nur ins Netz gehen, sondern daher kommen. Aber es werden viele Marken nur überleben oder haben überhaupt erst eine Chance, wenn sie im Dialog und in der Interaktion mit dem User einen Wert sehen. Das war aber schon immer so, dass die Zeit nicht still steht. Nur wer mitgestaltet oder sich zumindest anpasst hat eine Chance.
5. Was geben Sie Ihren Kunden?
Ich schenke ihnen Gehör. Antworte mit viel Kreativität, aber mit Blick aufs Machbare und Nötige. Gebe neue Impulse. Verstehe mich als Wegbegleiter – gerade im Internet, wo sich alles recht schnell ändert.
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Über Arnold Melm
Arnold Melm ist vielen Netizen als countUP bekannt. Er ist geprüfter PR-Berater (DAPR). Derzeit freiberuflich als Social Media Berater tätig, arbeitete zuvor in Unternehmen und Agenturen in der New Economy. Nach seinem Studium der Kunst und diversen Geisteswissenschaften schrieb er seine zweite Staatsarbeit 1997 über eLearning und Blended Learning.