Brand Hacking
Mit subversiven Methoden die Souveränität steigern.
Das dürfte irritieren: Wieso sollten wir mit Subversivität unsere Souveränität steigern können? Subversivität ist doch etwas heimliches, hinterhältiges, ethisch verwerfliches, während Souveränität eine klare geradlinige Haltung ohne doppelten Boden verspricht.
Wie so oft, führen vermeintliche Widersprüche zu neuen Möglichkeiten. Brand Hacking kann als Methode seine ganze Kraft entfalten, wenn Sie subversive Techniken auf Basis einer aufrichtigen Haltung in den Dienst der Markenwert-Steigerung stellen. Eine gefestigte aufrechte Haltung kann auf überraschende und mitunter verschrobene Weise zum Ausdruck gebracht werden – durchaus auch mit Ironie. Die Grenze zum Zynismus sollte jedoch nicht überschritten werden. Manchmal ist diese Grenze nicht so leicht zu erkennen und verläuft je nach Beobachterperspektive woanders, wie das Magazin Vice sehr anschaulich demonstriert. Im Fashion- und Lifestyle-Bereich wird von jeher mit feinen Abgrenzungen („Cutting-Edge“) gearbeitet. Von Außen betrachtet ist Abgrenzung immer auch Ausgrenzung („Wenn Du das nicht verstehst, gehörst Du nicht dazu“). Mit Hacking werden Kommunikationscodes konstatiert, die den Rand einer Marke markieren – sehr anschaulich zu beobachten am No 74 Berlin von Adidas.
Noch mehr Beispiele
Der Berlin-Brandenburger öffentlich-rechtliche Hörfunksender radioeins wirbt als Medienpartner des Hörspielkinos unterm Sternenhimmel gern mit Elementen des Brand Hacking. Die Hörerschaft des Senders ist mehrheitlich gut gebildet und kulturinteressiert. Der übliche Werbeblock vor den Nachrichten wird jedoch nach dem Gieskannenprinzip vom ARD-Vermarkter Media Sales & Services auf alle Sender gleich verteilt. So manche plumpe Hörfunkwerbung wirkt auf radioeins deplatziert. Eine davon ist die der Baumarktkette Praktiker mit dem zudringlichen „20 Prozent auf alles …“. Für den Hörspielkino-Spot hat radioeins die Stimme aus dem Praktiker-Spot engagiert: Schauspieler und Synchronsprecher Manfred Lehmann (u.a. Bruce Willis). In jenem Funkspot sagt er „…ich als Praktiker… 20 Prozent auf alle … Nur 19,99, nein: 20 Uhr…“ So ein Adbusting entfaltet seinen Witz freilich nur aus dem Kontext heraus.
Eine weitere Anwendung des Brand Hacking finden wir bei der kürzlich von Attac herausgegebenen „Financial Crimes Deutschland“, die u.a. als Beilage in der taz verteilt wurde. Auch „Storch Heinar“, die Satire auf ein ähnlich lautendes Nazi-Label sowie die Persiflage des ALDI-Prospektes durch die Christliche Initiative Romero sind in diesem Sinne Brand Hacking.
Nachdem im Spätsommer gleich mehrere Corporate-Design-Plagiatsvorfälle durch die Presse gingen (u.a. HSE), persiflierte ich Richard Gutjahrs Blogheader. Auch meine Interviewreihe kann als Hacking zum Thema „Souveräne Markenführung“ verstanden werden, mache ich doch ganz bewusst keine Vorgaben, was unter „Souveräne Markenführung“ zu verstehen sei und ermutige die Interview-Partner, gleich Beispiele zu liefern, um damit deren Vorstellungswelten zu hacken, ohne sie explizit nach ihren Definitionen zu fragen.
Was Agenturen tun können
Agenturen können mit dem Handwerk des Brand Hacking ihren Möglichkeitsraum erweitern und im Dienste ihrer Kunden den Einflussbereich der Marke vergrößern. Brand Hacking ist die Fähigkeit, die Vielfalt der Deutungen einer Marke klarer wahrzunehmen ohne sie gleich zu verurteilen. Gleichsam schärft Brand Hacking das Bewusstsein, wie mit Interventionen eine Marke auf dem Weg zu einem Ziel geführt werden kann. Auf die ausführenden Techniken verstehen sich die meisten Agenturen bereits: Konzeption und Planung einer (viralen) Kampagne, ein Event, PR, eine Microsite oder etwa Betreuung von User Generated Adverstising. Die Fähigkeit des bewussten Brand Hacking steigert die Sicherheit, richtige Maßnahmen zu wählen und bei unvorhergesehenen Reaktionen im Markt konstruktiv zu reagieren.
Geistiges Handwerk
Brand Hacking ist geistiges Handwerk für einen souveränen Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven, Meinungen und Standpunkten. Marken(-firmen) können durch Anwendung dieses Handwerks Haltung zeigen. Brand Hacking liefert eine Handlungsoption, wo andernfalls möglicherweise Kontrollverlust oder ratlose Betroffenheit stünde. Der Anspruch, definierte Markenwelten via Design, Kampagnen und Aussagen zu transportieren, wird durch Social Media konterkariert. Die Öffnung der „Kanäle“ für eine Vielfalt an Kommunikatoren lässt das Konzept der Kommunikationskontrolle unbrauchbar erscheinen. Corporate Wording Fibeln, Brand Behavior Guidelines und Markensteuerungsmatrizen werden auf ihre Grundfunktion zurückgeführt: Sie sind Werkzeuge der Ur-Irritation, die eine Klärung über das Selbstverständnis und der dahinter liegenden Haltung veranlasst. Mit anderen Worten: Über die Existenz solcher Hilfsmittel fangen die Menschen in einem Unternehmen an, sich ihrer selbst bewusst zu werden. Markenmodelle werden nun ganz offiziell zu dem, was sie schon immer waren: wertvolle Tools für das Selbstmanagement. Instrumente zur Kontrolle externer Kommunikation waren sie ohnehin nie. Wer souverän ist, braucht so etwas auch nicht.