Internal Branding gegen den Strich gebürstet
Setzt Internal Branding am Minimumfaktor der Markenwertsteigerung an oder ist es die Bankrotterklärung der Markenberater?
Die Antwort beginnt
Jahrzehntelang haben sich Markenberater an unbelehrbaren Marketingleuten die Zähne ausgebissen; versuchten zu oft vergebens, sie zu beschwören, auf langfristige behutsame Maßnahmen statt Abverkaufsförderung zu setzen. Nun haben sich nicht wenige der Zunft auf Internal Branding verlegt. Die Ansprechpartner der Personalabteilung sind weniger hektisch und verstehen wirklich etwas von Psychologie und Soziologie anstatt nur Zahlen und oberflächliche Phrasen wiederzukäuen.
Natürlich liegt die ursächliche Substanz einer Marke gerade bei wissensbasierten Leistungen in den Menschen, die diese Leistungen erzeugen.
Aber spielt nicht gerade im Zeitalter von Social Media die Musik mehr denn je im Markt und hat die Flucht in die längst nicht mehr geschützten Räumen der Organisation nicht etwas Anachronistisches?
In 30 Jahren gelernt
Nachdem die strategische Planung der 1970er versagt, die gröbsten Irrtümer der Markenführung überwunden (1984 Coke Blindtest, 1993 Marlboro Friday) und das Desaster von West (1995) Marketingleiter nachhaltig immun machten gegen esoterische Konzepte, herrscht seit Jahren ein Vakuum: Das mechanistische BWL-Marketing liefert keine wirklichen Führungskonzepte, sondern nur Checklisten für Optionen – allenfalls nützlich für Studenten und nachträgliche Analysen. Jeder weiß, dass die Orientierung an Best Practices (Benchmarking) den Tod bedeutet, aber nur wenige trauen sich Regeln zu brechen.
Bedeutete „Branding“ 1999 noch Naming, Brand Design und massive Mediawerbung, so ist seit 2001 Konservatismus angesagt: Die gute alte Markentechnik erlebt ihre Renaissance.
Markentechnisches Management
Allerdings befasst sich Markentechnik nur mit einem kleinen Teil der Markenführung: der Festlegung des direkt Steuerbaren. Markentechnik – so wichtig sie freilich ist – bleibt im Rahmen dessen, was von der Betriebswirtschaft irrtümlicherweise als Management definiert wird: die Auswahl einer Option aus gegebenen Wahlalternativen anhand von Effektivitäts- und Effizienzkriterien.
Management ist jedoch tatsächlich das Treffen von Entscheidungen unter Bedingungen maximaler Unsicherheit. Diese Unsicherheit darf in Organisationen nicht kommunikabel werden. Deshalb werden Sicherheitstools und Absicherungsdaten nachgefragt: kurzfristige Responsezahlen, Gehirnfotos aus dem Kernspintomographen oder aggregierte Exceltabellen. Langfristige Markenwertsteigerung wird eher als normativer Wunschgedanke in Fachaufsätzen und Kongressreferaten beschworen, als dass im Unternehmen tatsächlich jemand dafür kämpft.
Systemische Berater
Der Erfolg des Markenberaters bemisst sich wohl danach, inwieweit es ihm gelingt, gegen die Macht von Quartalszahlen, Vertriebsdirektoren und karriereorientierten Brand Managern, die mehr auf ihren nächsten Posten als auf die ihnen zugeteilte Marke schielen, anzustinken. Systemiker, die sich eher auf Dynamiken in Interaktionssystemen verstehen und weniger auf abstrakte Märkte, klopfen lieber an die Tür der Personalabteilung und singen das Lied „Marke kommt von Innen“. Manche von ihnen bewundern gar heimlich die dynamischen Marketer, die gelernt haben genauso berechenbar und ganz und gar unsinnlich zu sprechen wie Investmentbanker.
Es kommt drauf an, welche Sprache man sexy findet.
Was fehlt?
Ich sehe eine große Herausforderung darin, der oft beklagten „Implementierungslücke“ in der Markenführung auf die Spur zu kommen. Denn wenn die Landkarten der BWL-Planungsrhetorik sich zu sehr vom Arbeitsalltag im Unternehmen unterscheiden, dann sind sie einfach nicht adäquat. Nach jahrzehntelangem Herbeten von Marketingphrasen ist es naheliegend und folgerichtig, den Blick auf die Mitarbeiter in den Unternehmen zu richten. Denn sie sind nach den Führungskräften die zweitwichtigsten Markenbotschafter. Im Zeitalter von Social Media, Corporate Blogging und Twitter-Accounts hat das zweifellos noch einmal an Bedeutung gewonnen.
Gelingt Internal Branding?
Das abschließend zu beurteilen, überlasse ich Ihnen. Zur Ansicht liefere ich zwei Perspektiven:
- Internal Branding – sofern als einheitliches Konzept begriffen – ist ein Erfolg und führt zu einer durchgreifenden Orientierung an der Steigerung des Markenwertes. Damit haben wir es mit einer qualitativen Weiterentwicklung in den Unternehmen zu tun, bis sie an eine weitere qualitative Wachstumsbegrenzung stoßen, die es erneut zu überwinden gilt. Freilich dann mit einem neuen Konzept. Den arg strapazierten Spruch von Einstein erspare ich Ihnen an dieser Stelle.
- Internal Branding ist einerseits ein Betätigungsfeld für Berater und aus Sicht der HR-Abteilung ein Mittel, wertvolle Mitarbeiter zu binden und nicht zur Marke passende zu identifizieren, um ihnen ein Outplacement angedeihen zu lassen. Dann bekommt die Thematik den Beigeschmack einer Alibi-Projektes, das nicht primär an der Steigerung des Markenwertes orientiert ist.
Nutzenmaximierung
Können Markenberater den Nutzwert für ihren Klienten steigern? Ich glaube fest daran. Wie man es dreht, früher oder später muss ein Markenberater auf die Frage stoßen: Was behindert aktuell die Steigerung des Markenwerts?
- ein ausschließlich am quartalszahlenbezogenen Finanzmarkt orientierter Vorstand
- Marke wird als Schönwetterthema von der Agenda geschoben
- Produkte passen nicht zur Marke
- die Marke ist heruntergewirtschaftet, es gibt keine Substanz mehr
- es werden nur noch Budgets für Abverkaufsförderung freigegeben
- Abteilungswettbewerb verhindert gemeinsame Markenwertsteigung
Wer aktiv als Berater tätig ist, dem fallen bestimmt noch viel mehr Gründe ein. Der scheinbar Vordringliche ist nicht immer der Tatsächliche. Es gilt, den jeweils aktuell am meisten die Markenwertsteigerung behindernden Grund herauszuschälen. Denn dieser ist der Minimumfaktor. Wird dieser Minimumfaktor identifiziert und das Kernproblem geknackt, lösen sich die vielen abhängigen Probleme automatisch von selbst.