Der Subtext von PR-Phrasen
…und dessen zweifelhafter Beitrag zur Markenführung.
Nicht Worte an sich sind die Botschaft, sondern die Worte in ihrem Kontext.
Dieser Kontext wird durch die Vorgeschichte bestimmt. Dass das der PR-Berater von Bischof Mixa nicht wissen konnte, ist seltsam genug. Wenn die Mitarbeiter der Pressestelle des DFB nicht wissen, in dem der Ausschluss von Kurányi vom WM-Team mit „taktisch und personell anderen Vorstellungen“ begründet wird, ist das nur schwer nachvollziehbar.
Wie viele Jahre Medienerfahrung brauchen PR-Profis, um zu lernen, was solche Formulierungen auslösen?
Falsches Kommunikationsmodell
Die einzige Erklärung, die mir einfällt ist ein falsches Kommunikationsmodell: Ein Kommunikator bestimmt die Bedeutung der Aussage, die er durch einen Kanal sendet. In der Kommunikation unter Anwesenden würde so ein Fehler nicht passieren. Wir vergewissern uns, wie uns unser Gesprächspartner verstanden hat. Ganz automatisch, ohne Worte. Erwarten wir klare Aussagen und kommen dagegen Worthülsen, so wird damit ausgesagt: „Wir lenken ab, weil uns das Thema peinlich ist“ oder „wir missachten dein Interesse und sprechen lieber über Sachen, die wir für wichtig halten.“ Mir ist kein einziger Fall bekannt, bei dem solche Ablenkungsmanöver erfolgreich waren. Wenn die Menschen konkrete Aussagen erwarten, dann wecken Verallgemeinerungen den Verdacht, dass da etwas faul ist. Beim Umgang mit Kritik führt Sie das mechanistische Modell sowieso auf die falsche Fährte. Nach einem völlig überholtem Muster ist es ein Zeichen von Überlegenheit, Kritiker aufs heftigste anzugehen, sie der Lüge zu bezichtigen oder privat zu verunglimpfen. Dieses Verhalten ist nach moderner Lesart ein sicheres Kennzeichen mangelnder Souveränität, schlechten Benehmens und einer Abwesenheit von Markenbewusstsein.
Auch hier drängt sich mir die katholische Kirche als Beispiel auf, die hier mindestens erstes und letztes Merkmal im Verhalten einiger ihrer Akteure aufweist.
Glattbügeln heißt Resignation und Mimosentum
Politiker haben gelernt, in Wortmeldungen jegliche Ecken und Kanten zu vermeiden, um der Bild-Zeitung keine Steilvorlagen zu liefern – auf Kosten jeder Aussagekraft. Fast immer endet der O-Ton mit erhobener Stimme und signalisiert „der Politiker war zwar mit seiner Aufzählung noch nicht zu Ende, aber da kam echt nichts mehr.“ Politjournalisten zeigen sich zu oft als geduldige Bohrer, die irgendwelche Neuigkeiten zu Tage fördern wollen. Selten mit Erfolg.
Und so hat sich im 20. Jahrhundert auch bei den Konzernen ein glatt gebügelter Sprachstil in den Presseerklärungen breit gemacht. Möglicherweise wissen es die Kommunikationsprofis besser, können sich nur leider nicht gegenüber Geschäftsleitung oder Vorstand durchsetzen. Macht denen klar, dass Unternehmen und Marken im Kommunikationswettbewerb stehen um die interessantesten Geschichten! Was wahr ist oder falsch, interessiert kaum jemanden. Von allen Instanzen ausgewogene und juristisch nach allen Seiten glattgebügelte Aussagen verhallen im Nichts! Wenn Unternehmen selbst nichts Interessantes mitteilen, bereiten sie ungewollt den Boden für Spekulationen und erfundene Geschichten. „Flurfunk“ gibt es auch jenseits der Organisationsgrenze. Oder das Unternehmen bzw. die Marke ist derart uninteressant, dass keiner einen Gedanken daran verschwendet.
Glattbügeln wirkt entropisch
Nichtssagende O-Töne eingerahmt in lesenswerten Mutmaßungen finden sich nicht nur im Wirtschaftsteil von Zeitungen. Auch in Fachbüchern kommen Vertreter der Wirtschaft zu Wort, vergeben sich aber viel zu oft die Chance, etwas Interessantes mitzuteilen. Die Zitate im Buch sollen den genetischen Code der Marke widerspiegeln – so meint man – und lässt Aussagen vorsorglich von allen erdenklichen Instanzen im Konzern prüfen. Eingebettet in einem gut geschriebenen Buchtext wirken diese O-Töne dann unbeholfen und inhaltsleer. Damit tun Konzernvertreter ihrem Arbeitgeber keinen Gefallen; was für eine vertane Chance, wo doch gerade „Employer Branding“ in aller Munde ist. Welcher High Potential möchte schon in einer Behörde arbeiten, die ihm so einen Maulkorb umschnallt? Markenattribute an sich haben keine Bedeutung. Eine Bedeutung entsteht erst im Kontext. Und dieser Kontext ist in einer Infobroschüre ein anderer als in einer Stellenausschreibung, in einem Fachbuch ein anderer als in einem Verkaufsgespräch.
Nochmal: Kontext bestimmt Bedeutung
Die Wirkung von Instrumenten der Markenführung ist abhängig von den Kontexten, die durch nichtinstrumentierbare Markenkommunikation geschaffen wird. Nicht umgekehrt! Dieser Zusammenhang wird gerne vernachlässigt: Nach dem Qualitätsskandal bei Toyota war fortan jeder Werbespot ein Hohn. Schon David Ogilvy wusste: Wenn Sie ein schlechtes Produkt haben, hilft Werbung – und zwar, es noch schneller vom Markt zu fegen. Der Mercedes-Werbespot „Gevatter Tod“ hat nach Bekanntwerden des tödlichen Unfalls, verursacht durch einen Mercedes-Testfahrer, eine Kontextverschiebung mit drastischen Ausmaß erlebt. Menschen, die Entscheidungen bei der Markenführung treffen, sollten sich viel mehr auf die Deutung aktueller Kontexte verstehen. Es ist an der Zeit zu begreifen, dass zur Markenführung mehr gehört, als die Erstellung von Budgetplänen nach Maßgabe von Erfolgsmessung.
Paradoxie der Kommunikationsplanung
Es gibt bei der Kommunikationsplanung ein Paradox, auf dessen Handhabung sich nur die besten Markenmanager verstehen: Sie wollen die Wahrscheinlichkeit von Markenerfolg erhöhen. Dazu planen Sie. Bis hierhin ist alles in Ordnung. Wenn Sie sich aber ausschließlich auf die planbaren Marken-Interventionen konzentrieren, blenden Sie genau das aus, was den Erfolg im hohen Maße mitbestimmt. Wer nur Instrumente mit direkter Kontrolle kennt, verschließt sich dieser Tatsache. PR sollte hier weit mehr Flexibilität aufweisen. Denn bei der PR waren die abgedruckten und gesendeten Botschaften noch nie 1:1 vom Unternehmen bestimmbar. Ich verwehre mich keinesfalls gegen eine strategische Kommunikationshaltung, auch nicht gegen Planung in der Kommunikation. Planen müssen Sie Ihren Weg zum gesetzten Ziel, obwohl(!) Sie wissen, dass es garantiert anders kommt. Sie sollten sich vergegenwärtigen, wie Sie sich den Weg zum Ziel vorstellen und in welcher Situation Sie Ihre Haltung (Marke) auf welche Weise zum Ausdruck bringen. Sie planen Szenarien, ohne zu wissen, ob und wann sie eintreten. Außerdem wissen Sie, dass garantiert etwas Unvorhergesehenes passiert, für das Sie keinen Plan haben können.
Empathie macht stark
In die Kommunikationsstrategie gehört keine Festlegung, welche Botschaft bei der Zielgruppe „ankommen“ soll. In die Kommunikationsstrategie gehört, welche Aussagen Sie treffen und wie Sie wahrgenommen werden wollen. Das ist freilich eine intellektuelle Reflexion, die nicht wenigen Menschen gegen den Strich geht: „Mir ist doch egal was die anderen denken. So etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen, ist ein Zeichen von Schwäche.“ Dass jemand mit so einem Glaubenssatz in der Unternehmenskommunikation nichts verloren hat, muss ich nicht extra betonen. Es geht nicht um Unterwürfigkeit sondern um Empathie. Eine Empathie, die viele Kommunikatoren leider bislang vermissen lassen. Sonst gäbe es keine PR-Phrasen mehr, keine nichts sagenden Zitate in Fachbüchern und keine „kein Kommentar“-s. Wie wirkt es, wenn Ihre Firma in einem Fernsehbeitrag gezeigt wird: verschlossene Eingangstüren, Betonfassaden, Verbotsschilder, Überwachungskameras und dazu eine eingeblendete Presseerklärung mit hohlen Phrasen und das Bedauern der Stimme aus dem Off, dass „das Unternehmen gegenüber der Redaktion leider zu keiner Aussage bereit war“? Souverän? Eher ein Versteckspiel der peinlichsten Variante.
Inoffizielle Kommunikationsstrategie
Manchmal aber ist arrogantes oder ignorantes Verhalten von Unternehmensvertretern auch eine stärkende Intervention auf die Marke. Nämlich dann, wenn genau solch ein Verhalten dem Wesen der Marke entspricht und dieses Wesen zur Stärkung des Markenwerts beiträgt. Das Victory-Zeichen des Josef Ackermann hat unterstrichen, dass die Deutsche Bank eben ein mächtiger Kollos ist, der sich über Gesetze hinwegsetzt, der mehr Macht und Einfluss hat als der Staat. Genau das brauchen Investoren zur Bestätigung.
Skandale bei Lidl wegen deren Verhalten gegenüber Mitarbeitern und Lieferanten stärken die Marke. Denn sie entsprechen der Logik: „Nur weil die so sind, können die so billig sein“. Dem könnt Ihr von mir aus auch nur heimlich zustimmen.